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Essen und Trinken

„Es ist fast so, als würde eine Pflanze vertrocknen… und was die Medikamente angeht, ohne die Flüssigkeit können die Medikamente nicht wirken, sie braucht mehr Flüssigkeit, damit die Medikamente zirkulieren und ihre Wirkung entfalten können.“ Dies sagt die Angehörige einer krebskranken Frau, die in einer Hospiz-Palliativ-Einrichtung betreut wird.

Essen und Trinken

Für die Angehörigen schwerkranker Menschen ist es meistens eine große Belastung, wenn am Übergang in die palliative Betreuungssituation und am Übergang in die Sterbephase Essen und Trinken schwierig werden oder der kranke Mensch nicht mehr essen und trinken will.

Oft ist das ein dominierendes Thema in Krisensituationen. Die verschiedenen Aspekte von Essen und Trinken, von Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr zu berücksichtigen, ist eine tägliche Herausforderung palliativer Betreuung. 

In einer qualitativen Forschungsarbeit wurde nach der Bedeutung von parenteraler Flüssigkeitszufuhr für Angehörige und Patienten mit fortgeschrittener Tumorerkrankung gefragt (Cohen M.Z. 2012.). Die Vorstellung von einer vertrocknenden Pflanze erklärt den Impuls von Angehörigen, sich für die „Infusion“ einzusetzen, vor diesem Hintergrund ist auch die Vehemenz, mit der Angehörige das manchmal wollen, verständlich.

Zum Thema Stress, der mit dem Essen zu tun hatte, befragten Amano et al. (Amano K., 2019) in einer landesweiten anonymen Fragebogenuntersuchung in Japan 700 trauernde Angehörige (Rückmeldungen 76%!).

Es zeigte sich eine hohe Prävalenz von Stress in Bezug auf Essen. Vier Faktoren wurden bei der Befragung identifiziert:

  1. dass Familienmitglieder die erkrankte Person zum Essen drängten, um den Tod zu vermeiden
  2. dass Familienmitglieder große Anstrengungen unternahmen, um der erkrankten Person bzgl. des Essens zu helfen
  3. dass Essen eine Konfliktursache zwischen Familie und erkrankter Person war
  4. dass es Angehörigen an Informationen fehlte. Es bestand ein großes Bedürfnis nach ernährungsbezogener Unterstützung durch Professionelle.

Fachwissen über Essen und Trinken am Lebensende ist inzwischen verbreitet und mit Leitlinien und Empfehlungen in der Betreuungspraxis angekommen. z.B.: S3-Leitlinie Palliativmedizin, S. 465: https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/128-001OLl_S3_Palliativmedizin_2020-09_02.pdf

Die Erfahrungen von Pflegekräften in Bezug auf essensbezogenen Herausforderungen wurden in einer qualitativen Interviewstudie untersucht (Wallin V., 2021). Pflegekräften fällt es demnach leicht, praktisch mit Essensproblemen umzugehen. Es steht ihnen sowohl genügend Wissen zu Verfügung als auch Instrumente, wie Assessments, sowie unterstützende Pflegemaßnahmen, z.B. den Tisch schön zu decken, Portionen zu verkleinern usw. Schwieriger ist es für sie, mit den Familien über das Thema zu sprechen und in herausfordernden Situationen sicher zu handeln - den richtigen Zeitpunkt oder die richtigen Worte zu finden. Sie fühlen sich dafür nicht genügend vorbereitet und haben Sorge, Familien zu ängstigen oder vor den Kopf zu stoßen.

Am leichtesten fällt es ihnen, das Thema im Rahmen von Pflegehandlungen anzusprechen. Gleichzeitig ist das offenbar auch für Patient:innen und deren Familien eine günstige Gelegenheit, was für Pflegekräfte zu unerwarteten und herausfordernden kommunikativen Situationen führen kann.

Die Autor:innen gehen davon aus, dass Herausforderungen besonders in der Übergangsphase von Palliative Care zu End-of-Life Care auftreten und zu Unsicherheit und ethischen Dilemmata führen. Es besteht eine zeitliche Phase des „Dazwischen“, der Unklarheit, in der für die Beteiligten nicht eindeutig geklärt ist, ob und wie das Thema verortet werden soll. Geht es schon um den Sterbeprozess? Was wissen die Betroffenen oder was wollen sie wissen? Wer spricht den nahenden Tod an? Essen und Trinken ist mit diesen existentiellen Themen verwoben.

Aber gerade diese unklare und undefinierte Situation bietet für Pflegekräfte die Möglichkeit ganzheitlicher Pflege, der mitfühlenden Begleitung der Betroffenen, ohne den Anspruch, die Ambivalenzen auflösen zu müssen. Bewusstes Zuhören, präsent sein und damit Familien in Übergängen zu helfen sehen die Autor:innen als wichtige Aufgabe von Pflegepersonen.

 

Literaturnachweis:

Cohen M.Z., Torres-Vigil I., Burbach B.E., de la Rosa A., Bruera E.: The Meaning of Parenteral Hydration to Family Caregivers and Patients With Advanced Cancer Receiving Hospice Care. JPSM 43(5), 2012.

Amano K., Morita T., Koshimoto S., et al.: Eating-related distress in advanced cancer patients with cachexia and family members: A survey in palliative and supportive care settings. Support Care Cancer 2019;27:2869–2876.

S3-Leitlinie Palliativmedizin, Broschüre „Ernährung im Alter in verschiedenen Lebenssituationen – Thema Künstliche Ernährung und Flüssigkeitszufuhr", S. 465 :
https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/128-001OLl_S3_Palliativmedizin_2020-09_02.pdf

Wallin V., Mattsson E., Omerov P., Klarare A.: Caring for patients with eating deficiencies in palliative care-Registered nurses' experiences: A qualitative study. J Clin Nurs. 2021 Nov 30. doi: 10.1111/jocn.16149. Epub ahead of print. PMID: 34850477