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Assistierter Suizid und die Pflege

Das Thema des assistierten Suizids ist auch für Pflegepersonen relevant. Sie sind als Personen und als Angehörige der Profession Pflege davon in besonderer Weise berührt.

Assistierter Suizid und die Pflege

Das Thema des assistierten Suizids ist auch für Pflegepersonen relevant. Sie sind als Personen und als Angehörige der Profession Pflege davon in besonderer Weise berührt, weil sie es sind, die mit schwerkranken und sterbenden Menschen die meiste Zeit verbringen und viele Pflegehandlungen eine enge und vertrauensvolle Pflegebeziehung benötigen.

Annette Riedel hat im Rahmen der Ringvorlesung „Grenzfelder in der Praxis des Assistierten Suizids“ in Kiel einen Vortrag mit dem Titel „Assistierter Suizid – und die Pflege(nden)“ gehalten, in dem sie gründlich und umfassend viele relevante Themen zur Sprache bringt. Annette Riedel ist Professorin für Pflegewissenschaft und Ethik an der Hochschule in Esslingen und Mitglied im Deutschen Ethikrat.

Im Folgenden werden einige Eckpunkte des Vortrags angeführt, bei Interesse kann der Vortrag nachgehört werden. ( Link: www.youtube.com/watch?v=oQ_9y0XxVi4)

Pflegepersonen sind in den Ländern, in denen es gesetzliche Regelungen zum assistierten Suizid und/oder zur Tötung auf Verlangen gibt, meist nicht direkt in die durch die Regelung vorgesehenen Abläufe involviert. Doch Pflegepersonen sind zentrale erste Ansprechpartner:innen für den Sterbewunsch und für die Bitte um Hilfe, denn Pflege ist Beziehungshandeln in existenziell bedeutsamen Situationen.

Die Auffassungen und Haltungen zum assistierten Suizid sind durch persönliche und professionelle Werte der Pflegepersonen beeinflusst. Die Hauptfaktoren, die Pflegende als Gründe dafür anführen, dass sie sich eine Mitwirkung vorstellen können, sind unkontrollierte Schmerzen, therapierefraktäres und existenzielles Leiden und auch die Grundhaltung, dass es das Recht eines jeden Menschen ist, zu dem für ihn angemessenen Zeitpunkt zu sterben. Gegen eine Mitwirkung werden religiöse Gründe und ethisch-moralische Dilemmata angeführt. Pflegepersonen können in Ländern, in denen der assistierte Suizid und/oder Tötung auf Verlangen legal sind, eine Einschränkung ihres Anspruchs erleben, ganzheitliche palliative Begleitung zu erbringen; dies zeigen Forschungsergebnisse.

Das professionelle Werteverständnis des Pflegeberufs ist beispielsweise im ICN-Kodex für die Pflege (International Council of Nurses-Kodex) niedergelegt. Darin gibt es mehrere Grundsätze, die im Kontext dieses Themas relevant, jedoch von jeder einzelnen Person zu interpretieren sind: So sollen Pflegepersonen ein würdiges Sterben unterstützen und sich gegen unethische Einstellungen und Praktiken einsetzen. Die Verweigerung von Maßnahmen aus Gewissensgründen, wenn die eigene moralische Integrität gefährdet ist, wird als berechtigt angeführt. Daraus lässt sich ableiten, dass es sich bei der Mitwirkung beim assistierten Suizid um eine höchst schwierige Entscheidung handelt, die jede und jeder im Sinne einer Gewissensentscheidung verweigern darf.

Berufspolitische Hinweise finden sich etwa in der Schweiz, indem das Spannungsfeld formuliert wird, dass der assistierte Suizid nicht Teil des pflegerischen Auftrags ist, dass aber kein Mensch fallen gelassen werden soll.

Ausdrücklich hält auch die Definition von Palliative Care (Radbruch, Lukas et al. (2020): Redefining Palliative Cared - A New Consensus-Based Definition. In: Journal of Pain and Symptom Management, Volume 60(4).) fest, dass im Verständnis von Palliative Care der Tod nicht beschleunigt wird. Gleichzeitig besteht aber der Anspruch, die Autonomie der Betroffenen zu respektieren und Leiden zu lindern.

Sowohl persönliche Gründe als auch der professionsethische Rahmen können bei Pflegepersonen in dieser Frage zu einem moralischen Konflikt und moralischem Stress führen. Das Handeln gegen eigene Überzeugungen kann zu einer Verletzung der moralischen Integrität, zu einer Reduktion von moralischer Sensibilität und zu Burnout bis hin zum Berufsausstieg führen.

Annette Riedel sieht Handlungsbedarf für Pflegende als Personen und für die Pflege als Profession auf drei Ebenen:

Erstens in der Befähigung von Pflegenden zu einem professionellen Umgang mit Sterbewünschen und Suizidwünschen. Die Pflegebeziehung kann dazu genutzt werden, Hintergründe zu erfassen, Ambivalenzen zuzulassen und Rahmenbedingungen zu schaffen, welche die Situation der Betroffenen verbessern. Grundlage dafür ist ein relationales Autonomieverständnis. Dieses soll durch die Förderung von Fachkompetenzen für die Begleitung, durch Expertise in Bezug auf den assistierten Suizid und Suizidprävention sowie durch die Weiterentwicklung von Ethikkompetenz gestärkt werden.

Zweitens auf organisationaler Ebene im Sinne einer Ethikkultur und partizipativer Auseinandersetzung bzgl. dieser Themen innerhalb von Organisationen. Zudem muss die palliative Versorgung in allen Settings, insbesondere in der Grundversorgung, verbessert werden.

Drittens muss sich Pflege als Profession in den Diskurs einbringen, um eine eigene Haltung und einen moralischen Kompass für professionell Pflegende zu ermöglichen.