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„Ich möchte sterben.“

In einem Text von Ulrike Büchs finden sich folgende Sätze: „Am Tod scheitert unsere Sprache. Hier enden unsere Worte. Der Tod macht sprachlos. Dass unser Gerede angesichts des Todes verstummt, hat etwas Gutes. Dass wir still werden, sei es aus Schmerz, Ohnmacht oder Respekt, ist recht so. Besser als das Geschwätz ist allemal das Schweigen aus Ehrfurcht. Dass wir dennoch reden müssen, hat seinen Grund.

Der Sterbewunsch

In einem Text von Ulrike Büchs finden sich folgende Sätze: „Am Tod scheitert unsere Sprache. Hier enden unsere Worte. Der Tod macht sprachlos. Dass unser Gerede angesichts des Todes verstummt, hat etwas Gutes. Dass wir still werden, sei es aus Schmerz, Ohnmacht oder Respekt, ist recht so. Besser als das Geschwätz ist allemal das Schweigen aus Ehrfurcht. Dass wir dennoch reden müssen, hat seinen Grund. …“[1]

„Ich möchte sterben.“

Ein starker Satz. Da bleibt für ein paar Sekunden die Zeit stehen. Beim Gegenüber, das darauf nicht vorbereitet ist, kann er eine emotionale Reaktion der Betroffenheit, der Hilflosigkeit, des Mitleids, vielleicht des Schuldgefühls auslösen. Und, je nachdem, wie ein Mensch gelernt hat, mit unangenehmen Gefühlen umzugehen, oder aus Zeitnot oder aus anderen Gründen wird das Gespräch darüber vielleicht verschoben, auf einen anderen Zeitpunkt, auf eine andere Person, wird die Antwort ausweichend sein, wird so getan, als wäre alles nicht so schlimm.

Doch wir können der Vielschichtigkeit des Sterbewunsches und dem dahinterstehenden Leiden nicht gerecht werden, wenn wir nicht fragend und zuhörend ins Gespräch kommen.

Im Feld der Palliativbetreuung sind wir gerade dabei, den Umgang mit dem Sterbewunsch zu lernen. 

Denn der Sterbewunsch ist ein komplexes subjektives und soziales Phänomen, oft ambivalent und widersprüchlich, sich ändernd im Zeitverlauf, in der Interaktion, selten ein Dauerzustand. Die Gründe und die Bedeutungen des Sterbewunsches sind sehr unterschiedlich. Oft hat die Äußerung des Sterbewunsches eine Funktion. Als Teil eines Verabschiedungsprozesses ist der Sterbewunsch ein normales Phänomen.

Die Perspektive der Menschen, die einen Sterbewunsch äußern, wurde in einem Hospiz in der Nähe von Basel erforscht. Im Rahmen einer groß angelegten Interviewstudie[2], die zwischen 2009 und 2016 durchgeführt wurde, konnten die Forscher:innen bei 62 Menschen Einblick in ihre Vorstellungen und Wünsche gewinnen. Was meinen schwer kranke Menschen, wenn sie sagen, dass sie sterben wollen? Was liegt dem Sterbewunsch zugrunde? Wie verändern sich die Wünsche über die Zeit? Welche Bedeutung hat der soziale Kontext?[3]

Aus dieser Studie stammt unter anderem ein vertiefter und differenzierter Blick auf das Motiv für den Sterbewunsch, keine Belastung für andere sein zu wollen.

Dieser Mensch nimmt also ein Ungleichgewicht zwischen Geben und Nehmen wahr. Doch es stellen sich Fragen: Ist die Belastung für die Betreuenden tatsächlich so hoch wie die Person, die den Sterbewunsch äußert, annimmt? Wertet sie das eigene Leben ab und macht es schlecht, vielleicht aus Scham? Auch für die Betreuenden, Angehörige und Professionelle, ist es nicht einfach, dass der Betroffene unter dieser Belastung leidet.

Manchmal befürchten die betreuten Menschen, dass die Belastung für die Betreuenden zu groß werden könnte. Diese Sicht kann durchaus realistisch sein. Die Betreuenden würden ohne diese Aufgabe wohl ein anderes Leben führen. Dass sie diese Verantwortung dennoch übernehmen, kann von ihnen als positiv und lohnend erlebt werden und, obwohl Belastung, nicht belastend.

Solche Gefühle sind also psychologisch komplex und vielfältig, manchmal auch ethisch kompliziert. Die Sorge ist eine altruistische Sorge und verweist auf die Realität, dass Menschen voneinander abhängig und im Angewiesen-Sein verletzlich sind. Signale von Seiten der Begleitenden beeinflussen diese Gefühle; unprofessionelle Begleitung oder Finanzierungsprobleme von Betreuung verstärken das Gefühl, eine Belastung zu sein.[4]

 

Pionierhaft aufbereitet und wissenschaftlich begleitet wurde der Umgang mit dem Sterbewunsch in Köln[5]. Daraus ist ein praxisorientierter Leitfaden entstanden.

Das ist der zentrale Ansatz des Leitfadens: Gespräche über Todeswünsche sind immer individuell, personen-, beziehungs- und situationsabhängig und haben keine festgelegte Themenreihenfolge oder Struktur. Der Leitfaden stellt keine abzuarbeitende „Checkliste“ dar, sondern soll einen offenen und wertfreien Umgang mit dem Thema Todeswünsche unterstützen. Auch Anregungen zu Selbstreflexion und Selbstschutz finden sich darin.

Die Ziele im Umgang mit dem Sterbewunsch lassen sich in einem Dreischritt beschreiben[6]:

  1. Wahrnehmen und Erkennen: Angesichts des Todes stellen sich bei uns Menschen im Wesentlichen zwei unwillkürliche Reaktionen ein: den Tod zu verleugnen und den Tod zu überwinden. Für ein Gespräch über den Sterbewunsch sind diese Reaktionen nicht hilfreich. Erst die Anerkennung der eigenen Vergänglichkeit ermöglicht die Wahrnehmung des Sterbewunsches und das Einlassen auf einen Menschen, der einen Sterbewunsch äußert.[7] Die Äußerung ist nicht immer eindeutig und direkt, mit Sätzen wie: „Bei mir ist schon alles zu spät.“ „Ich möchte einfach verschwinden.“ „Jetzt reicht es.“
     
  2. Verstehen: Im Nachfragen erschließt sich in einem empathischen, bedeutungsfindenden Prozess ein Verständnis für den Todeswunsch vor dem Hintergrund der medizinischen und psychischen Situation, der Persönlichkeit und Lebenserfahrung der betreuten Person.
     
  3. Kompetent begleiten: Daraus ergibt sich, welche Maßnahmen es bei der Begleitung brauchen könnte. Das sind nicht zwangsläufig direkte Maßnahmen, sondern womöglich „nur“ das aktive Aushalten des Leides, ohne eine Antwort darauf geben zu können oder gar den Todeswunsch zu beurteilen. Das Leiden, das dem Todeswunsch zugrunde liegt, soll in allen Situationen, wo dies möglich und erwünscht ist, durch konkrete Strategien und Techniken gelindert werden.

Autorinnen: Ass.-Prof.in Mag.a Dr.in Christiane Kreyer und  Dr.in med. Elisabeth Medicus, MAS

 

[1] Büchs U. Proviant für die letzte Reise. Sprache finden für das, was stumm macht. Praxis Palliative Care 2014, 24:18-21.

[2] Studie „Terminally ill patients’ wish to die” (2009–2016). Heike Gudat (Co-Leitung), Christoph Rehmann-Sutter (Co-Leitung), Kathrin Ohnsorge und (ab 2013) Nina Streeck.

[3] Ohnsorge K, Rehmann-Sutter C, Gudat H. What a Wish to Die Can Mean: reasons, meanings and functions of wishes to die, reported from 30 qualitative case studies of terminally ill cancer patients in palliative care. BMC Palliative Care 2014; 13(38); Link

 

[4] Gudat H, Ohnsorge K, Streeck N, Rehmann-Sutter C. How palliative care patients’ feelings of being a burden to others can motivate a wish to die. Moral challenges in clinics

and families. Bioethics 2019; 33:421–430. doi: 10.1111/bioe.12590

[5] Kremeike et al. The desire to die in palliative care: a sequential mixed methods study to develop a semi-structured clinical approach.BMC Palliative Care 2020; 19(1):49. doi: 10.1186/s12904-020-00548-7.

[6] Erweiterte S3-Leitlinie Palliativmedizin für Patienten mit einer nicht-heilbaren Krebserkrankung, Langversion 2.2 –_September 2020, S. 427. In dieser Leitlinie ist dem Thema „Umgang mit Todeswünschen“ ein eigenes Kapitel gewidmet (S. 413-439).

[7] Grieser J. Über den Tod sprechen. Forum der Psychoanalyse 2023; 39:189-2023